Was macht Gesundheits-Ratgeber hilfreich? Einblicke von Verlagsleiter York Bieger

Portraitfoto des Zitatgebers.
York Bieger ist Leiter des Psychiatrie Verlags, der Ratgeber für Menschen mit psychischen Problemen veröffentlicht. In unserem Blog schildert er die Geschichte seines Verlags und erklärt, welche Anforderungen gute Gesundheitsratgeber erfüllen müssen.

Viele Patienten sind auf der Suche nach guten Ratgebern zu Gesundheitsthemen. Unser Verlag möchte Patienten mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörigen genau dies bieten. Doch was genau ist ein guter Ratgeber? Welche Kriterien muss er erfüllen? Was hilft Betroffenen? Mit dieser Frage beschäftigt sich unser Verlag seit rund 40 Jahren.

Akademische Titel – ein Qualitätsmerkmal?

Bei klassischen Gesundheitsratgebern sind akademische Titel – Professor, Doktor oder beides – ein wichtiger Bestandteil der Covergestaltung. Sie sollen Seriosität vermitteln und dem Leser sagen: Hier weiß ein studierter Mensch, was für mich beziehungsweise für meine Gesundheit am besten ist. Das Problem: Je schwieriger die medizinische Problematik, desto „fachlicher“, sprich unverständlicher, drücken sich Fachleute häufig aus. Hier spiegelt sich die traditionelle hierarchische Beziehung zwischen Arzt und Patient wider. Selten findet diese auf Augenhöhe und gleichberechtigt statt. Was aber bezüglich der somatischen Medizin unter dem Aspekt des „aufgeklärten“ Patienten schon infrage zu stellen ist, sollte bei psychischen Problemen, die ungleich vielseitigere Antworten erfordern, noch viel sensibler behandelt werden.

Um nicht missverstanden zu werden – Seriosität und Fachwissen bilden die Grundlage jedes ernst zu nehmenden Ratgebers, das gilt besonders für die Medizin. Aber: Welches Wissen, welche Erfahrungen und welche Perspektiven sind wirklich hilfreich für Menschen, die zu einem Buch greifen, um sich mit einer Erkrankung auseinanderzusetzen? Besonders, wenn es sich nicht um einen Beinbruch, sondern um ein Problem handelt, das den ganzen Menschen, seinen Körper, seine Persönlichkeit, seine sozialen Beziehungen betrifft?

Beginn des Psychiatrie Verlags

Dazu ein kleiner Ausflug in die Geschichte: Vor vierzig  Jahren begann in Deutschland die Psychiatrie-Reform. Untrennbar mit ihr verbunden ist ein Buch, das den programmatischen Titel „Irren ist menschlich“ trägt. Die Autorin und der Autor dieses völlig neu gedachten „Lehrbuches des Psychiatrie und Psychotherapie“ fanden bezeichnenderweise keinen medizinischen Verlag – und gründeten (mit anderen) einen eigenen. So entstand der „Psychiatrie Verlag“.

Bis heute kümmert er sich wie kein anderer um die Psychiatrie als humane, demokratische und emanzipatorische Praxis. Bereits in den 80er Jahren erschienen die ersten Ratgeber für Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung und ihre Angehörigen – nur war man sich damals nicht bewusst, dass es Ratgeber waren. Erst nach zehn Jahren wurde dieses Programmsegment auch als solches bezeichnet. Bald schon stieß man auf eine neue Hürde: Die Grenze zwischen persönlichen Eigenheiten, seelischen Besonderheiten und Krankheit sind erstens fließend, und zweitens ist kein Mensch ganz und gar krank: Seine gesunden Anteile sind nie völlig weg und bleiben zumeist die wichtigeren. Kann man Menschen an dieser Grenze immer gleich mit „Psychiatrie“ kommen? Zwingt man sie damit nicht in ein System, dass sie vielleicht gar nicht brauchen? Macht aus einem menschlichen Problem ein psychiatrisches?

Der Unterschied liegt in der Perspektive

So wurde der BALANCE buch + medien verlag als Imprint (Verlag im Verlag) gegründet. Hier erscheinen seit 2007 Ratgeber und Erfahrungsliteratur, aber auch Sach- und Fachbücher. Wie bei der eingangs erwähnten „klassischen“ Ratgeberliteratur sind auch bei uns die Autorinnen und Autoren ausgewiesene Experten ihres Fachs: Professoren- und Doktortitel sind hier nicht seltener als anderswo, sie stehen nur nicht prominent auf dem Buchcover.

Der Unterschied liegt in der Perspektive – und derer gibt es mindestens drei: erstens die der betroffenen Menschen, zweitens die der Angehörigen und drittens die der Therapeuten, also der Profis. Wären wir Maschinen, würden die Profis reichen. Weil aber der Mensch und sein Gehirn ein biologisches und soziales Wesen ist, hat auch die Gesundheit immer mehrere Seiten. Diese Zusammenhänge bewusst in Text umzusetzen und nicht nur im Schlagwort „biopsychosozial“ abzuhaken, ist die Grundlage der Arbeit unseres Lektorats. Das hat Auswirkungen auf die Auswahl der Autorinnen und Autoren, die inhaltlichen Schwerpunkte, auf die Sprache und die Gestaltung. „Auf Augenhöhe und voneinander lernen“ lautet unser Rezept.

Programmsegment für Kinder mit psychischen Störungen

Besonders stolz sind wir darauf, dass unser Verlag in seinem Bereich erstmals ein eigenes Programmsegment für Kinder geschaffen hat: „Kids in BALANCE“ hilft Kindern, mit psychischen Störungen in ihrer Umgebung umzugehen, insbesondere mit Erkrankungen ihrer Eltern. Was als Wagnis begann, lange, bevor sich die Fachwelt der Brisanz dieses Themas bewusst wurde, hat sich als großer Erfolg erwiesen: Rund 20 Titel sind bisher erschienen. Und die Stiftung Gesundheit hat davon schon zahlreiche zertifiziert, zum Beispiel „Ich bin Loris. Kindern Autismus erklären“, „Papas Unfall“ und „Molly und das große Nichts“. Das Themenspektrum umfasst die verschiedensten psychiatrischen Diagnosen, es geht aber auch um Alltagshilfen wie Mut oder Einschlafen. Die Idee wird inzwischen von zahlreichen Verlagen nachgeahmt, doch unser Verlag braucht diese Konkurrenz nicht zu fürchten – denn unser Erfolgsrezept liegt in der Sache mit der Perspektive. Und die ist ziemlich schwer umzusetzen…

Autor: York Bieger, Leiter des Psychiatrie Verlags
Portraitfoto: Heike Günther

von Kerstin Wittemeier