Transparenz im Gesundheitswesen schaffen – das ist Satzungszweck der Stiftung Gesundheit. Seit mehr als 20 Jahren zeichnet sie deshalb verständliche medizinische Ratgeber mit ihrem Gütesiegel aus. Das Siegel erhalten Publikationen, die das evidenzbasierte, rund 150 Kriterien umfassende Prüfsystem erfolgreich durchlaufen. So erleichtert die Stiftung Gesundheit Patienten den Zugang zu verständlichen Informationen mit geprüften Inhalten zu verschiedenen Krankheitsbildern und Therapieoptionen. Dabei arbeitet sie mit medizinischen Experten zusammen, die die Ratgeber auf fachliche Richtigkeit überprüfen. Zwei von Ihnen sind Prof. Dr. Alexandra Henneberg und Alexander Simonow. Sie erklären im folgenden Interview mit der Stiftung Gesundheit, weshalb sie sich bei der Zertifizierung von Gesundheitsinformationen engagieren.
Interview mit Prof. Dr. Alexandra Henneberg

Prof. Dr. Alexandra Henneberg ist Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie in Frankfurt und hat die Stiftung beispielsweise bei der Zertifizierung verschiedener Parkinson-Ratgeber unterstützt.
Was bewegt Sie dazu, als Gutachter tätig zu sein?
„Es ist unbedingt wichtig, dass die Bevölkerung weiter aufgeklärt wird. Daher finde ich das Zertifizierungsprogramm der Stiftung Gesundheit großartig, weil wir es doch noch häufig haben, dass Patienten mit allgemeinen Fragen alleine gelassen werden. Wir als Ärzte geben ihnen die Diagnose an die Hand, verordnen Medikamente oder Krankengymnastik, aber wie sie mit den Problemen des täglichen Lebens fertig werden, da können wir relativ wenig helfen. Zertifizierte Publikationen können diese Lücke schließen. Und sie helfen bei der Angehörigenarbeit, die auch ganz wichtig ist. Denn Angehörige sind oftmals noch viel ratloser als die Patienten selbst.“
Denken Sie, dass durch Gütesiegel mehr Transparenz geschaffen wird?
„Ich finde es gut, dass Gutachter prüfen, ob inhaltlich alles in Ordnung ist und nichts grundsätzlich Falsches erscheint. Dass wir die Bevölkerung insgesamt aufklären halte ich für eine wichtige Sache. Gütesiegel sind da zumindest eine Möglichkeit, um die Transparenz zu erhöhen. Idealerweise ergibt sich dann als Konsequenz daraus, dass Patienten ihre Optionen kennen und sich richtig behandeln lassen.“
Gibt es einen medizinischen Bereich, in dem es noch an Laien-Informationen fehlt?
„Auch wenn es nicht mein eigener Bereich ist, fällt mir sofort der ganze Diät- und Adipositas-Bereich ein. Da haben wir wahrscheinlich noch nicht genug Aufklärung, jedenfalls, wenn ich mir unsere Gesellschaft so ansehe. Gefäßprophylaxe ist sicherlich ein weiteres wichtiges Thema. Oder auch Betriebs- und Arbeitsmedizin in Verbindung mit Achtsamkeitstraining, Burn-Out und Depressionen. Oft bekomme ich von meinen Patienten die Rückmeldung, dass sie häufiger mal Zwölf-Stunden-Tage haben. Da fragt man sich schon, ob sie wissen, dass das arbeitsrechtlich verboten ist, weil es dazu führt, dass Menschen ausbrennen. Ich denke, da gibt es noch genügend Bereiche, in denen noch ganz viel zu tun ist.“
Haben Sie abschließend noch einen Ratschlag an Autoren, die Publikationen für medizinische Laien verfassen?
„Oft leisten die Autoren schon sehr gute Arbeit, vor allem wenn sie selbst betroffen sind oder waren und die Sorgen und Probleme kennen. Was mir aber häufig auffällt ist, dass das Männer-Frauen-Bild noch nicht einheitlich durchgekommen ist. Da sollten Autoren mehr auf die Geschlechtergleichheit achten – gerade wenn es beispielsweise darum geht, kranke Kinder zu Hause zu betreuen.“
Interview mit Alexander Simonow
Alexander Simonow ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Facharzt für Neurologie und als Ärztlicher Direktor an der Neurologischen Klinik Sorpesee GmbH & Co. KG tätig. Er hat zuletzt den Ratgeber „Umgang mit Psychopharmaka“ aus dem Psychatrieverlag begutachtet.
Was ist für Sie das Interessante an der Gutachtertätigkeit?
„Ich muss mich sehr intensiv mit dem auseinandersetzen, was ich da zu begutachten habe. Dabei lernt man natürlich auch immer selbst etwas dazu. Beispielsweise der letzte Ratgeber, den ich für die Stiftung angesehen habe: „Umgang mit Psychopharmaka“ – das war ein toller Ratgeber, den hätte ich mir ja aber so niemals angeschaut. Die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema und die Bewertung, das macht schon Spaß.“
Denken Sie, dass Gütesiegel für Patienten sinnvoll sind?
„Gütesiegel bieten bestimmt eine erste Orientierung, ob es sich um vertrauenswürdige Informationen handelt. Aber sie sind mir noch zu anonym: Wie gut die Güte der Beurteilung ist, kann der Leser meist nicht einschätzen. Es steht ja in der Regel nicht drauf, wer das bewertet hat. Der Leser kann also gar nicht beurteilen, ob der Prüfer überhaupt dazu in der Lage ist, eine Beurteilung abgeben zu können. Da würde ich mir persönlich noch mehr Transparenz wünschen, zum Nutzen der Leser.“
Was mussten sie bei der Begutachtung von Ratgebern bisher am häufigsten bemängeln?
„Völlig daneben ist es natürlich, wenn inhaltliche Dinge nicht stimmen, aber auch wenn der Stil nicht patientenfreundlich allgemeinverständlich ist. Es darf nicht sein, dass man vorne extra draufschreibt ‚Ratgeber für Betroffene‘ und dann aber dann am Ende doch medizinisches Hintergrundwissen haben muss, um den Inhalt zu verstehen. Ich schaue beim Prüfen deshalb immer genau darauf, ob es dem jeweiligen Verfasser gelingt, die medizinischen Termini verständlich zu übersetzen. Und zwar in einem gefälligen Deutsch – das geht nämlich.“
In welchem medizinischen Bereich fehlt es noch an verständlichen Informationen?
„Ich kann da nur für meinen Bereich sprechen, ich bin ja spezialisiert in chronischen und neurologischen Erkrankungen wie etwa Parkinson, Alzheimer und Multipler Sklerose. Und da gibt es inzwischen eine immense Bandbreite an laiengerechter Literatur. Darunter sind viele Eigendarstellungen: Wie komme ich mit meiner Krankheit besser klar? Oder Angehörige berichten von Betroffenen. Die wirklich guten Ratgeber zeichnen sich dadurch aus, dass sie zusätzlich im Hintergrund die medizinischen Fakten allgemeinverständlich beleuchten. Und das hat zum Glück in den letzten Jahren unheimlich zugenommen.“
Mehr zum Zertifizierungsverfahren der Stiftung Gesundheit.
von Kerstin Wittemeier