Die Fachjury hat dieses Jahr über 220 eingereichte Beiträge gesichtet. Die folgenden hervorragenden 17 Beiträge sind in diesem Jahr für den Publizistik-Preis nominiert (in alphabetischer Reihenfolge). Daraus wählt die Expertenjury die Gewinnerbeiträge.
Titel
Autor
Medium
Lukas Hellbrügge
PULS Reportage (Videobeitrag)
Eva Frisch und Alf Meier
ARD (Fernsehen)
Viktoria Morasch
Zeit Online (Online-Artikel)
Abstracts (in alphabetischer Reihenfolge)
Aus dem Blick von Issio Ehrich
Die Reportage „Aus dem Blick“ widmet sich der Onchozerkose, der „Flussblindheit“. Dabei handelt es sich um eine tropische Krankheit, von der weltweit mehr als 20 Millionen Menschen betroffen sind. Die Flussblindheit ist damit einer der häufigsten infektionsbedingten Gründe für den Verlust des Sehvermögens. Weil ein großer Teil der Erkrankten in Afrika lebt, stehen allerdings kaum Mittel bereit, um sie zu erforschen.
„Aus dem Blick“ zeigt, wie die deutsche Wissenschaftlerin Sabine Specht in der Demokratischen Republik Kongo trotzdem klinische Studien für neue Medikamente durchführt. Der Text veranschaulicht den Ablauf solcher Studien und rückt so in den Fokus, wie schwierig es ist, Fortschritte im Kampf gegen sogenannte vernachlässigte tropische Krankheiten (NTDs) zu erzielen. Die Geschichte ist eine kritische Reflexion der Mechanismen des globalen Gesundheitsmarktes, sie zeigt anhand der engagierten Forscherin und ihrer lebensmutigen Patienten auch, dass der Kampf gegen vernachlässigte Krankheiten nicht hoffnungslos ist.
Dement aber nicht vergessen von Michael Schmieder
1,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz, täglich kommen hunderte hinzu. Viele Angehörige fühlen sich hilflos und alleine gelassen. Was tun, wenn der Mutter, dem Partner oder Geschwistern ihr selbstbestimmtes Leben entgleitet? Michael Schmieders Buch ist eine fundierte Anleitung, die ganz konkret erklärt, wie wir Menschen mit Demenz gerecht werden. Im Zentrum steht die Frage: Was wünschen sich die Demenzkranken?
Michael Schmieder ist Experte zum Thema Demenz und kann Angehörige entlasten und helfen, die Bedürfnisse der Kranken zu erfüllen.
Der letzte Schluck von Lea Oetjen
„Meine Sucht ist mit Abstand das Beste, das mir hätte passieren können.“ Diesen Satz werde ich wohl nie wieder vergessen können. Irgendwann zu Anfang des Jahres habe ich ihn zum ersten Mal gehört – und Wochen später dann auch verstanden.
Es war ein eiskalter Montagabend im Januar, als ich das erste Mal bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker dabei sein durfte. Mit Worten lässt sich kaum beschreiben, wie aufgeregt ich war. Auf was für Menschen treffe ich? Welche Geschichten höre ich? Und ist es wirklich für alle in Ordnung, dass ich ein bisschen Mäuschen spiele? Zumindest die letzte Frage lässt sich klar beantworten: „Ja.“
Für die Suchtkranken war es viel mehr als nur in Ordnung. Abhängigkeit ist für sie kein Tabuthema. Es ist ihr Leben – und darüber wollte ich mehr erfahren. Montag für Montag machte ich mich also auf den Weg in die Königstraße nach Minden.
Monatelang. Zwei Stunden dauerte ein Gruppengespräch, in dem es um immer verschiedene Themen ging. Job, Beziehungen, Suchtdruck. Ich habe Einblicke in die Krankheit bekommen, die Google und Ärzte nie liefern könnten. Selten hat sich eine so lange Recherche für mich derart gelohnt. Denn, und das ist das Allerwichtigste: Es hat sich Vertrauen entwickelt. Die Alkoholiker öffneten sich, erzählten von ihren bewegenden Schicksalen. Sie waren dankbar, dass ihnen jemand zu hört. Dankbar, dass jemand ihre Geschichten erzählen will.
Mit der Zeit fiel es leichter, die Sucht zu verstehen. Irgendwann hat selbst der „Meine Sucht ist mit Abstand das Beste, das mir hätte passieren können“-Satz plötzlich Sinn ergeben. Der kräftezehrende Kampf gegen die Sucht bedeutet vor allem, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Im Entzug und der Therapie erleben viele eine unfassbare Entwicklung der Persönlichkeit. Die Suchtkranken sind dankbar dafür – und dafür, am Alkohol und den Drogen nicht gestorben zu sein.
Diesen Schicksalen durfte ich mit der Serie „Der letzte Schluck” eine Stimme gegeben.
Die Suche nach dem Gift von Svenja Beller und Julia Lauter
Wir atmen. Wir ziehen uns an und aus. Wir trinken und essen, wir duschen und putzen. Wir fassen Dinge an und lassen Dinge los. Und wir atmen dabei pausenlos.
Bei all diesen alltäglichen Handlungen kommen wir nicht nur mit dem Offensichtlichen in Kontakt, sondern auch mit Stoffen wie Phenantren, Bisphenol A oder Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) – Chemikalien, die bei repräsentativen Untersuchungen der EU-Bevölkerung in über der Hälfte der Probanden nachgewiesen wurden.
Wir wollten herausfinden, wie gefährlich das ist und ließen uns auf zwei besonders umstrittene Stoffgruppen testen. Anhand der Ergebnisse verfolgten wir zurück, wie die Stoffe in uns gelangt sein konnten. Unsere Recherche führte uns in Landeslabore und zu Chemikalien-Hotspot, zu Behörden, VerbraucherschützerInnen und Vertretern der Industrie, die bei den Verhandlungen über die neue, strengere EU-Chemikalienstrategie gleichermaßen am Tisch sitzen.
Unser Report beleuchtet die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge der Chemikalienpolitik und legt die „stille Gefahr“ des alltäglichen Chemikalieneintrags anschaulich dar.
DNA-Tests für zu Hause: Sinnvoll oder Geldverschwendung? von Lukas Hellbrügge
Anbieter wie „MyHeritage“ oder „tellmeGen“ werben mit DNA-Tests für zu Hause, um die eigene „ethnische“ Herkunft bestimmen zu können. Sogar entfernte Verwandte soll man so ausfindig machen können. Und: Einige DNA-Tests versprechen sogar noch mehr: Mit ihnen lässt sich angeblich herausfinden, wie groß das individuelle Risiko ist, zum Beispiel einen Herzinfarkt zu bekommen. Oder sie versprechen, Erbkrankheiten zu diagnostizieren.
Dabei nutzen die Anbieter aus, dass das viele nicht gut über das Thema Bescheid wissen: Was genau bedeuten Prozentangaben bei „ethnischer Herkunft“? Welche Folgen kann die Ferndiagnose einer seltenen – potentiell tödlichen – Erbkrankheit haben? Wie zuverlässig kann so ein DNA-Test überhaupt sein?
Reporter Sebastian Meinberg findet in der Reportage Antworten auf diese Fragen. Zusammen mit einer Humangenetikerin, einem Juristen und einem Datenschützer werden die Hintergründe der Direct-to-customer-DNA-Tests allgemein verständlich erklärt. Auch unter Einsatz von anschaulichen Grafiken wird einer jungen Zielgruppe (16-25 Jährige) so wichtiges Wissen an die Hand gegeben.
Ein gutes Leben bis zum Schluss von Susanne Hamann
Wenn andere Mediziner nichts mehr die sterbenden Patienten tun können, geht es für Professor Sven Gottschling und sein Team „erst richtig los“. Der 51-Jährige leitet in Homburg an der Saar Deutschlands einziges altersübergreifendes Palliativzentrum.
Der Professor und sein Team verstehen sich als Spezialisten für Lebensqualität. Sie verbreiten Hoffnung – wobei das nicht Hoffnung auf Heilung bedeutet. Aber es gibt Hoffnung auf ein gutes Leben bis zum letzten Atemzug. Niemand muss leiden.
Für eine Titelgeschichte unserer Wochenendbeilage habe ich den Arzt einen Tag begleitet. Die Patienten, die ich kennen lernen durfte, waren alle auf ihre Art glücklich. Ich frage mich, ob wenigstens einer davon überhaupt noch lebt?
Tag für Tag mit todkranken Menschen zu tun haben ist wichtig und erfüllend. Aber auch belastend und traurig. Wie hält man das aus? Höchsten Respekt vor diesem Team und ihrer Leistung, Tag für Tag.
Dass Sven Gottschling ein großartiger Mensch ist war mir allerdings schon vor der Reise ins Saarland klar – seit 25 Jahren ungefähr, als wir uns an der Uni Tübingen zum ersten Mal begegnet sind.
Glücksspiel Transplantation – Das lange Warten auf ein Organ von Eva Frisch und Alf Meier
Fast 9.000 Menschen stehen in Deutschland momentan auf der Warteliste für Organverpflanzungen. Bei etwa 20 Prozent kommt es nicht mehr zu einer Transplantation. Sie sterben, während sie warten. Es gibt hierzulande einfach nicht genügend Spender. Die Dokumentation begleitet Menschen bei ihrem Kampf ums Überleben und hinterfragt die in Deutschland geltende Zustimmungslösung.
Kolja will nicht sterben, er will sein Leben zurück von Viktoria Morasch
Der Text erzählt die Geschichte von Kolja Wortmann und seiner Familie. Wortmann ist an Long Covid erkrankt und entwickelte daraufhin MECFS. Die Eltern haben alles aufgegeben, um den Sohn zu pflegen und Hilfe zu finden. Sie fallen durch alle Raster, es gibt lange keine Diagnose und keine Behandlung. Gemeinsam denken sie auch über Sterbehilfe nach. Neben diesem Einzelschicksal erzählt der Text auch über den Zusammenhalt von Betroffenen, über die Hoffnung, die im Medikament BC007 steckt und was das alles über das deutsche Gesundheitssystem aussagt.
Krebs geht uns alle an von Marisa Kurz
In meinem klinischen Arbeitsalltag als Ärztin auf einer Krebsstation stelle ich immer wieder fest, wie wenig Patientinnen und Patienten über ihre Erkrankung verstehen. Doch genau dieses Verständnis wäre wichtig: nur so können sie autonome Entscheidungen über ihre weitere Behandlung treffen und die Erkrankung verarbeiten.
Vor meinem Medizinstudium habe ich ein Studium der Biochemie und Philosophie abgeschlossen. Als ich Mitte 20 war, erkrankte meine Mutter an Krebs. Ich habe aus der Angehörigen-Perspektive erlebt, wie schlecht informiert wir uns gefühlt haben. Damals habe ich einen Entschluss gefasst: ich will selbst Ärztin werden und erreichen, dass Patientinnen und Patienten besser verstehen können, was während einer Behandlung mit ihnen passiert.
Heute möchte ich mein Wissen und meine Erfahrung nutzen, um Krebs in einfachen Worten ohne Fachbegriffe zu erklären. Denn Krebs geht uns alle an. Seit November tue ich das in meiner neuen Kolumne auf Spektrum.de.
Land of infusion – Meine Reise durch die Chemotherapie von Max Lotter
Leukämie? Ich, mit 34? – FUCK! Das war der erste Gedanke nach meiner Krebsdiagnose. Ich bin Max und im April 2021 hat sich mein komplettes Leben auf den Kopf gestellt. In diesem Podcast erzähle ich meinen Weg von der Diagnose bis zur letzten, stationären Behandlung. Ich will euch Mut machen, dem Krebs mit einem Roundhouse-Kick feierlich in seinen Arsch zu treten, will eurer Familie und Freund*innen sagen, was sie für euch tun können. Ich will aufklären, warum es so wichtig ist, sich bei der DKMS registrieren zu lassen – und warum Humor helfen kann, durch diese wahrscheinlich schwerste Zeit eures Lebens zu kommen. Alles, was ich erzähle, ist genau so passiert – aufgeschrieben in einem kleinen schwarzen Notizbuch, das mich durch ein Jahr regelmäßige Krankenhausaufenthalte begleitet hat. Alle Namen wurden mit Ausnahme der Ansprechpartner*innen in den Interviews anonymisiert. Land of Infusion gehört zu DASDING vom SWR.
Nur vier Tabletten von Friederike Oertel
Es war ein kleiner Mageninfekt im Urlaub, nichts Schlimmes. Das gängige Antibiotikum Ciprofloxacin sollte Carolin Maiwald helfen. Und dann zerbrach ihr Leben.
Dies ist die Geschichte einer Frau, die durch ein Antibiotikum krank wurde, das Millionen Deutsche jedes Jahr schlucken. Einer promovierten Wissenschaftlerin, die arbeitsunfähig ist und viele Jahre von Sozialhilfe lebt. Einer Mitbewohnerin, die selbst leiseste Geräusche nicht mehr ertragen kann. Einer Freundin, die langsam aus dem Leben der anderen verschwindet.
Problemfall Demenz – Neue Wege in der Pflege von Mark Michel
Die Pflege älterer Menschen mit Demenz ist ein wachsendes gesellschaftliches Problem. Wie kann den Betroffenen – Erkrankten wie Angehörigen – ein erfülltes Leben ermöglicht werden?
Angesichts steigender Fallzahlen in allen deutschsprachigen Ländern sind innovative Strategien gefragt. Sie sollen sowohl die Selbstbestimmung der an Demenz erkrankten Menschen schützen als auch Pflegepersonal und Angehörigen Hilfestellung und Entlastung bieten.
Die Dokumentation „Problemfall Demenz – Neue Wege in der Pflege“ stellt alternative Projekte vor, in denen das gelingen kann: eine Demenz-WG in Potsdam, die durch einen gemeinnützigen Verein finanziert wird, eine Initiative in Österreich, die Angehörige ausbildet und durch Tagespflege entlastet, und ein Haus in der Nähe von Zürich, das von ganzheitlichen Ansätzen in der Pflege geprägt ist.
Allen gemein ist: Es reicht nicht, die Grundbedürfnisse der Betroffenen zu stillen. Es geht in erster Linie darum ihr Selbstwertgefühl und damit ihre Selbstständigkeit zu fördern.
Raus aus den Betten! von Thorsten Schmitz
Aus Pflegeheimen kommen eigentlich immer nur schlechte Nachrichten. Gibt es denn eigentlich auch Ausnahmen, habe ich mich gefragt? Bei meiner Vorrecherche bin ich auf die Pflegeheime Haus Ruhrgarten und Haus Ruhrblick in Mülheim an der Ruhr gestoßen. Dort habe ich insgesamt vier volle Tage verbracht, morgens, mittags, abends, habe mit Pflegekräften und dem Leiter geredet, die Bewohnerinnen und Bewohner bei Therapien begleitet und sie beim Abendessen gesprochen. Meine Geschichte erzählt vom alltäglichen Wunder, das sie in den beiden Heimen jeden Tag vollbringen: Mit Wärme und Empathie und einem auf jeden Einzelnen massgeschneiderten Plan die Bewohnerinnen und Bewohner wieder fit zu machen.
Rettende Plagegeister von Fabian Federl
Von Rio de Janeiro gehen viele der größten Dengue- und Chikungunya Ausbrüche in Südamerika aus. Meist beginnen sie in Favelas, wo Aedes Aegypti Mücken sich in Pfützen vermehren, Menschen eng beieinander wohnen – ein lokaler Ausbruch wird so schnell zu einer Epidemie. Das Tropeninstitut Oswaldo Cruz testet seit Anfang 2021 eine neue Waffe: Sie züchten in den Favelas Moskitos. Kinder und Jugendliche werden in Schulen rekrutiert, bekommen ein Kit mit getrockneten Moskito-Eiern und sollen sie bei sich zu Hause schlüpfen lassen. Diese Moskitos sind mit einem Bakterium geimpft, das die Übertragung von Dengue und Chikungunya verhindern soll. Sie sollen die nicht geimpften Moskitos verdrängen. Über den Versuch, eine Mückenpopulation zu impfen.
Synapsen: Replace, Reduce, Refine von Nele Roessler
Tierversuche erhitzen die Gemüter. Ohne geht es nicht, sagen weite Teile der Forschung. Tierschützer halten entgegen, dass es bereits erprobte Alternativmethoden gibt. Aber wie gut sind die wirklich?
In welchen Bereichen können zum Beispiel Organoide die Zahl der Versuchstiere spürbar senken und Tierleid vermeiden helfen? Unsere Autorin Nele Rößler hat sich erklären lassen, wie künstliche Herzmuskel hergestellt werden und wo ihre Grenzen liegen. Sie erläutert, was auf einem Chip nachgestellte Mini-Organe leisten und warum es so schwer ist, in der Medikamentenentwicklung auf Versuche am lebenden Organismus zu verzichten. Außerdem nimmt sie uns mit ins Labor Hamburger Biologinnen, die sich mit Einsatzmöglichkeiten für Schlachtabfälle beschäftigen – und dabei erstmal rausfinden müssen, mit welcher Maschine sich Schweinenieren möglichst dünn und schonend schneiden lassen. Eine Recherche, die Hoffnung macht – und doch zu große Erwartungen dämpft.
The Cure – Heilung aus dem Grab von Fabian Federl
200 Jahre nach dem Tod des irischen Priesters und Wunderheilers lässt den Mikrobiologen Gerry Quinn ein Gedanke nicht mehr los. Er ist überzeigt, dass die Graberde des Priesters heilen kann und in ihr die Antwort für eine der größten Herausforderungen der weltweiten Gesundheit liegt: Den Kampf gegen multiresistente Keime.
105 Kilo – ein Jahr danach von Dagmar Stoeckle
Jeder zweite Deutsche ist übergewichtig, jeder vierte Deutsche sogar krankhaft dick. Die Fettsucht macht noch mehr krank: Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Schlafstörungen…
Wissenschafts-Autorin Dagmar Stoeckle macht den Selbsttest. Wie krank hat ihr Übergewicht sie bereits gemacht? Und kann sie jetzt noch gegensteuern? Ein Jahr lang dokumentiert die Journalistin, was sie gegen Kilos und Krankheiten gemacht hat – und natürlich, was ihr half.