Wirtschaftliche Stimmung: Aufwärtstrend ist gestoppt

Stimmungsbarometer Q2/2023: 72 Prozent der Ärzt:innen kritisieren Vorgaben von Politik und Selbstverwaltung

Schaubild Stimmungsbarometer: Der Pfeil zeigt auf den roten Bereich.
Schlechte Stimmung bei den niedergelassenen Ärzt:innen: Ihre wirtschaftliche Stimmung sank im zweiten Quartal 2023 auf -31,3 Punkte. Das ist bislang einer der niedrigsten Werte.

Der Aufwärtstrend vom letzten Quartal ist gestoppt: Im 2. Quartal 2023 sank die wirtschaftliche Stimmung der Ärzt:innen um 3,3 Punkte auf einen Wert von -31,3. Die Stimmung liegt damit weiterhin auf einem sehr niedrigen Niveau.

Sowohl die Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage (minus 4,2 Punkte zum vorherigen Quartal) als auch die Erwartung für die kommenden sechs Monate (Rückgang um 2,6 Punkte) verschlechterten sich.

Entwicklung der Stimmung in den ärztlichen Fachgruppen

Der Rückgang der Stimmung ist in allen ärztlichen Fachgruppen zu beobachten: am stärksten bei den Hausärzt:innen (minus 5,5 Punkte), am geringsten bei den Psychologischen Psychotherapeut:innen (minus 1,3 Punkte). Die Stimmung der Psychologischen Psychotherapeut:innen ist weiterhin deutlich besser als die der Ärzt:innen.

Ursachen für die Stimmungsentwicklung

Um die ausschlaggebenden Faktoren für die Stimmungsentwicklung in der Ärzteschaft zu identifizieren, haben wir die Erhebung um eine Hintergrundfrage ergänzt: Diese bildet ab, welchen Einfluss verschiedene Bereiche auf die Situation der Ärzt:innen hatten.

Stimmung, Lage und Erwartung der niedergelassenen Ärzt:innen im Zeitverlauf

Wirtschaftliche Lage und Erwartung in den Fachgruppen

Vergleich mit dem ifo-Geschäftsklimaindex

Sowohl der ifo-Geschäftsklimaindex als auch der Stimmungsindex der Ärzt:innen haben sich im 2. Quartal 2023 negativ entwickelt: Der Geschäftsklimaindex sank dabei stärker (Rückgang um 4,7 Punkte) als der Index der Ärzt:innen (Rückgang um 1,6 Punkte). Insgesamt betrachtet ist die wirtschaftliche Stimmung bei den niedergelassenen Ärzt:innen weiterhin schlechter als in den Branchen des ifo-Index.

Vergleich des ifo-Geschäftsklimaindex mit dem analog berechneten Stimmungsindex der Ärzt:innen (Stand Juni 2023).

Kommentar: Aus Medizinklima wird Stimmungsbarometer

Prof. Dr. med. Dr. rer. pol. Konrad Obermann, Forschungsleiter der Stiftung Gesundheit.

Nach gut 15 Jahren bekommt der Medizinklimaindex einen neuen Namen: Künftig trägt unsere Studienreihe den Namen „Stimmungsbarometer“. Dieser Begriff macht auf Anhieb verständlich, worum es geht: Wir haben den Finger am Puls der Ärzteschaft und zeigen auf, wie es den Niedergelassenen derzeit geht und ob sie mit Zuversicht oder Sorge in die Zukunft blicken.

Auch die Ursachen beleuchten wir künftig: Eine zusätzliche Frage gibt den Studienteilnehmern ab sofort die Möglichkeit, den Einfluss verschiedener Faktoren auf ihre Arbeitssituation zu bewerten. Denn zu wissen, dass etwas nicht rund läuft, ist eine Sache – deutlich hilfreicher ist es, die wesentlichen Faktoren identifizieren und im besten Falle abstellen zu können.

Gleich in der ersten Ausgabe zeigt sich dabei ein sehr interessantes Bild: Fast drei Viertel der Ärzteschaft (72,0 Prozent) geben an, dass sich politische Entscheidungen, gesetzliche Regelungen und/oder Vorgaben von Kammern und KVen negativ auf ihre Arbeitssituation auswirken. Dies liegt deutlich vor allen anderen Faktoren, die allesamt unterhalb von 50 Prozent liegen.

Dass aber bei jedem der abgefragten Bereiche mehr als 40 Prozent der Responder eine negative Auswirkung auf die Gesamtarbeitssituation sehen, zeigt, wie schwierig sich das Umfeld derzeit für die Ärzteschaft darstellt. So verwundert es auch nicht, dass die niedergelassenen Ärzte und insbesondere die Hausärzte erhebliche Nachwuchssorgen plagen. Gesundheitspolitische Reformen orientieren sich leider weiterhin an überholten Sektor- und Zuständigkeitsgrenzen , ohne den notwendigen paradigmatischen Wechsel zu einer patientenzentrierten Versorgung zu schaffen. Daher entwickeln sich gerade aus dem Markt innovative Versorgungsformen: Praxisketten wie Avimedical oder Patient21 entwickeln Praxiskonzepte, die insbesondere jüngeren Ärztinnen und Ärzten ein für sie akzeptables Arbeitsmodell anbieten.

Unser Ziel ist es, mit dem Stimmungsbarometer und den Erkenntnissen aus der qualitativen Hintergrundfrage einen Beitrag zu einer vertieften und innovativen gesundheitspolitischen Diskussion zu leisten. Denn die derzeitigen politischen Maßnahmen, wie ausländische Fachkräfte anzuwerben, Hitzeschutzprogramme zu entwerfen und bei steigenden Ausgaben einfach die Beitragssätze für die einzahlenden Mitglieder zu erhöhen, reichen nicht aus.

Erhebung: Repräsentative Erhebung mithilfe eines Online-Fragebogens

Erhebungszeitraum: 5.–12. Juni 2023

Sample: Für jede Berufsgruppe wurde eine repräsentative geschichtete Zufallsstichprobe angeschrieben. Für die aktuelle Befragung erhielten insgesamt 10.000 niedergelassene Hausärzt:innen, Fachärzt:innen, Zahnärzt:innen und Psychologische Psychotherapeuten aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung eine Einladung zur Befragung. Zusätzlich wurden 1.747 Ärzt:innen angeschrieben, die regelmäßig an der Befragung teilnehmen.

Rücklauf: 870 valide Fragebögen (Rücklaufquote 7,4 Prozent). Die Ergebnisse sind repräsentativ mit einem Konfidenzniveau von 99% (Konfidenzintervall < ±5%).

Über das Stimmungsbarometer

Seit mehr als 15 Jahren erhebt die Stiftung Gesundheit die wirtschaftliche Stimmung der niedergelassenen Ärzt:innen in der ambulanten Versorgung. Das Stimmungsbarometer (früher: Medizinklimaindex) gibt differenziert Auskunft darüber, wie die niedergelassenen Ärzt:innen in Deutschland ihre aktuelle wirtschaftliche Lage einschätzen und welche Entwicklung sie in den kommenden sechs Monaten erwarten.

Die Stimmung der Ärzt:innen wird analog zum Geschäftsklima für die gewerbliche Wirtschaft des ifo Institutes (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.) erhoben: Aus den Antworten zur Einschätzung der aktuellen Lage und zur Erwartung werden zunächst Salden für Lage und Erwartung gebildet. Die einzelnen Gruppen werden dabei entsprechend ihres Anteils an der Grundgesamtheit gewichtet, um ein repräsentatives Stimmungsbild zu erhalten. Der Wert für die Stimmung der Ärzt:innen entspricht dem Mittelwert der Salden für die aktuelle Lage und die Erwartung. Mehr Details finden Sie auf unserer Seite Methodik und Berechnung.