Digitale Gesundheitsanwendungen gehören in der Patientenversorgung dazu

Fast jeder zweite Hausarzt nutzt gelegentlich Apps auf Rezept

Hausärzte nutzen DiGA am häufigsten

In der Patientenversorgung arbeiten Hausärzte immer häufiger mit digitalen Helfern: Fast jeder zweite von ihnen setzt digitale Gesundheitsanwendungen zumindest gelegentlich ein (44,6 Prozent). Bei den Fachärzten und Psychologischen Psychotherapeuten liegt der Anteil bei jeweils gut einem Drittel (34,5 Prozent resp. 35,3 Prozent).

Am seltensten kommen Apps bei Zahnärzten zum Einsatz (31,4 Prozent). Der Grund für die geringe Quote ist keine grundsätzliche Ablehnung: Fast 50 Prozent der Zahnärzte gaben an, es gebe keine sinnvollen Apps für ihren Fachbereich.

Einsatz von Apps nimmt zu

Digitale Gesundheitsanwendungen haben sich etabliert: Seit der Einführung im Jahr 2020 ist der Anteil der Ärzte, die in ihrem Tätigkeitsbereich DiGA oder andere Apps zur Gesundheitsversorgung einsetzen, kontinuierlich gestiegen und liegt aktuell bei 37,1 Prozent. Damit setzen fast vier von zehn Ärzten die digitalen Helfer zumindest gelegentlich in der Patientenversorgung ein.

Von Prävention bis Nachsorge: Ärzte sehen vielfältige Einsatzbereiche

Die Einsatzmöglichkeiten schätzen die Berufsgruppen unterschiedlich ein:

  • Hausärzte sehen die Vorzüge der Apps primär in der Therapie bzw. zur Therapieunterstützung (49,8 Prozent), dicht gefolgt von der Vorsorge (46,8 Prozent).
  • Auch Fachärzte setzen vor allem in der Therapie (50,6 Prozent) und in der Vorsorge (45,5 Prozent) auf Apps.
  • Zahnärzte finden dagegen, dass der größte Nutzen im Bereich der Vorsorge (48,4 Prozent) liegt.
  • Die umfangreichsten Einsatzmöglichkeiten sehen die Psychologischen Psychotherapeuten: 65,5 Prozent von ihnen halten Apps in der Prävention für sinnvoll, 54,2 Prozent zur Therapie/-unterstützung und 45,8 Prozent in der Nachsorge.

Nichtärztliche Heilberufe: Vor allem in der Logopädie Bedarf an Apps

Auch in einigen der nichtärztlichen Heilberufe ist das Interesse an Gesundheits-Apps groß, ebenso wie die derzeitige Nutzung: Mit Abstand am häufigsten setzen Logopäden die digitalen Helfer ein (45,7 Prozent), gefolgt von Apothekern (33,3 Prozent). Bei den Hebammen und Ergotherapeuten sind es jeweils etwa ein Viertel, bei den Heilpraktikern ein Fünftel. Am seltensten kommen sie bei Physiotherapeuten zum Einsatz (15,0 Prozent).

Viel Potential: Hier sehen die Heilberufler den größten Nutzen

  • Drei Viertel der Logopäden halten den Einsatz von Apps zur Therapie/-unterstützung für sinnvoll, 28,1 Prozent in der Nachsorge. Auf die Frage nach konkreten Bedarfen nannten die Logopäden vor allem Übungsprogramme für zu Hause, mit denen sich die in der Therapie vermittelten Fähigkeiten eigenständig weiter trainieren und festigen lassen - im Idealfall mit der Möglichkeit, als Therapeut individualisierte Aufgaben für die Patienten einzustellen.
  • Auch 57,0 Prozent der Ergotherapeuten können sich einen Einsatz von Apps in der Therapie vorstellen oder nutzen sie dort bereits. Als Wunsch nannten sie beispielsweise Gesundheits-Apps die es ermöglichen, ein Hirnleistungstraining zu Hause unterstützend fortzuführen oder für motorische Übungen, etwa zur Verbesserung der Feinmotorik nach Handverletzungen.
  • Physiotherapeuten nutzen Apps bislang kaum - doch das Interesse ist da: 56,2 Prozent sehen sinnvolle Einsatzmöglichkeiten in der Vorsorge, 45,0 Prozent zur Therapie/-unterstützung. Bedarf besteht vor allem an Apps, um individuelle Übungen für zu Hause zusammenzustellen und die Patienten zu motivieren.
  • Bei den Apothekern steht die Vorsorge auf Platz 1 (47,5 Prozent). Jeweils mehr als ein Drittel der Apotheker sieht Apps zudem als hilfreiche Unterstützung bei der Therapie oder zur Überwachung von z.B. Vitalparametern. Konkret genannt haben sie beispielsweise Medikamentenpläne und -erinnerungen über Handy oder Smartwatch und Tagebuch-Anwendungen für Blutdruck, Blutzucker, Migräne oder Gewichtsmanagement.
  • Fast die Hälfte der Heilpraktiker sieht Apps in den Bereichen Vorsorge (45,4 Prozent) und Therapieunterstützung (46,3 Prozent) als sinnvoll an. Als Wünsche nennen sie vor allem Anwendungen für Übungen im psychotherapeutischen Bereich und zum Monitoring von Stimmungen.
  • Bei den Hebammen können sich 39,5 Prozent einen Einsatz in der Vorsorge vorstellen, 31,3 Prozent in der Nachsorge (z.B. Rückbildungs-Übungen) und je rund ein Viertel in der Therapie/-unterstützung und der Überwachung. Der Anteil derer, die Apps in keinem Bereich für sinnvoll halten, ist in diesem Heilberuf mit 30,3 Prozent am höchsten.

In den Freitexten äußerten die Heilberufler neben zahlreichen konkreten Wünschen auch Kritik, dass sie selbst keine DiGA verschreiben können. "Wir verwenden bereits ein Tool mit Übungen für unsere Patienten", schreibt beispielsweise ein Physiotherapeut: "Ich würde mir wünschen, dass Therapeuten diese verordnen könnten und nicht Ärzte, da hier der Weg zurück zum Arzt/Ärztin umständlich ist und vom Patienten nicht gegangen wird."

Kommentar: Sind DiGA-Verschreibungen schon jetzt in der Sättigungsphase?

Prof. Dr. med. Dr. rer. pol. Konrad Obermann, Forschungsleiter der Stiftung Gesundheit

Mit der Einführung von verordnungsfähigen Digitalen Gesundheitsanwendungen im Jahr 2020 hat Deutschland, das ansonsten bei der IT im Gesundheitswesen international eher im Rückstand liegt, ein wirklich innovatives Instrument in der Patientenversorgung geschaffen. Auch wenn es sicherlich noch Verbesserungsbedarf bei Nachweis von Effektivität und Effizienz und auch bei der Preisgestaltung gibt.

Nach zwei Jahren starken Wachstums ist nun jedoch eine deutliche Abflachung der Dynamik zu sehen: Nach Steigerungsraten von bis zu 20 Prozent in den ersten Jahren liegt sie im Jahr 2023 nur noch bei 3,5 Prozent – das ist gelinde gesagt moderat.

Klar positiv ist zu vermerken, dass mittlerweile fast jeder zweite Hausarzt zumindest gelegentlich DiGA einsetzt – das Thema ist also jenseits der „early adopter“ im ärztlichen Mainstream angekommen. Andersherum betrachtet setzen aber mehr als 50 Prozent der Hausärzte DiGA eben noch nicht ein, obwohl angesichts des mittlerweile recht breiten Therapiespektrums wahrscheinlich fast jeder Hausarzt eine der verfügbaren Apps sinnvoll einsetzen könnte.

Einige Ursachen klingen in den Freitext-Kommentaren der Studienteilnehmer an: So fehlt durch die hohen Anforderungen und rechtlichen Verpflichtungen oftmals die Zeit, sich grundsätzlich in neue Therapieoptionen einzuarbeiten oder gar intensiver mit den einzelnen angebotenen Apps auseinanderzusetzen, um diese adäquat verordnen zu können. Hinzu kommen eine vielfach eher konservative Haltung und wohl auch mangelnde Vertrautheit mit den Möglichkeiten digitaler Anwendungen bei vielen Ärzten. Und auch fehlende Vertrautheit bei Patienten – vor allem der weniger technik-affinen älteren Generationen – spielt eine Rolle, ebenso wie die derzeit von vielen Ärzten beobachtete unzureichende Adhärenz: Zahlreiche Studienteilnehmer berichten, dass DiGA-Verschreibungen nicht eingelöst oder nach kurzer Zeit abgebrochen werden.

Was also ist zu tun? Das Ziel müssen nutzerfreundliche Apps sein, die sich intuitiv und ohne aufwändige Einarbeitung bedienen lassen – von Patienten ebenso wie von den betreuenden Ärzten. Von Seiten der Hersteller bietet es sich an, nicht nur produktspezifisch zu informieren, sondern im Sinne einer konzertierten Aktion generell die Ärzteschaft über das Wesen und die Anwendungsmöglichkeiten von DiGA zu informieren. Und auch das Thema der Vergütung sollte aktiv angegangen werden: Oftmals vergleichen die Niedergelassenen die Kosten einer DiGA mit ihren Honorarsätzen und sind dann irritiert oder verärgert. Hier könnte beispielsweise die Selbstverwaltung nachbessern und Preise gegebenenfalls neu verhandeln.

Methodik & Rahmendaten

Erhebung: Repräsentative Erhebung mit einem Online-Fragebogen

Erhebungszeitraum: 4.–11. Dezember 2023

Sample: Für jede Berufsgruppe wurde eine repräsentative geschichtete Zufallsstichprobe angeschrieben. Für die aktuelle Fokus-Frage erhielten insgesamt 10.000 niedergelassene Hausärzte, Fachärzte, Zahnärzte und Psychologische Psychotherapeuten sowie 10.000 nichtärztliche Heilberufler aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung eine Einladung zur Befragung. Zusätzlich wurden 1.916 Ärzte und 1.665 Heilberufler angeschrieben, die regelmäßig an der Befragung teilnehmen.

Rücklauf: 1.913 valide Fragebögen (Rücklaufquote 8,1 Prozent). Die Ergebnisse sind repräsentativ mit einem Konfidenzniveau von 99% (Konfidenzintervall < ±5%).