Seit dem Amtsantritt der Bundesregierung im Mai 2025 ist Nina Warken neue Bundesgesundheitsministerin. Nach den ersten Monaten wollten wir von den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten wissen: Welche Erwartungen und Wünsche haben sie an die neue Ministerin, und welche Themen und Initiativen haben aus ihrer Sicht Priorität?

Die wichtigsten Themen aus Ärztesicht: Budget, Personal, Begrenzung von Leistungen, Patientensteuerung

Herausforderungen gibt es viele im Gesundheitwesen, doch welche sind am dringlichsten? In unserer Befragung benannten Ärzte ihre Top 3 – mit deutlichem Ergebnis:

  1. Mit großem Abstand auf Platz 1 liegt die Budgeterhöhung bzw. Entbudgetisierung für den ambulanten Sektor. Mehr als 70 Prozent der niedergelassenen Ärzte sehen hier dringenden Handlungsbedarf.
  2. Jeder zweite Arzt sieht zudem den Bedarf an ärztlichem und pflegerischem Personal sowie medizinischen Fachangestellten als dringend zu lösende Herausforderung an.
  3. Jeweils knapp ein Drittel der Ärzte nannte als dringende Herausforderungen die Begrenzung medizinischer Leistungen und eine bessere Patientensteuerung.

Alle weiteren Themen wurden von weniger als einem Viertel der Ärzte genannt.

Zur Antwortoption „Sonstiges“ bestand die Möglichkeit, weitere Themen in einem Freitextfeld zu benennen. Am häufigsten wurden dort die Themen Bürokratieabbau, faire Vergütung und Gebührenordnungen (GOÄ/GOZ) genannt.

Klares Votum für Beratungsgremium

Die wichtigste politische Initiative aus Sicht der Ärzte ist die Einrichtung eines dauerhaften Gremiums, das sich aus Vertretern aus allen Bereichen der Patientenversorgung zusammensetzt und das Bundesgesundheitsministerium berät. Mehr als die Hälfte der Ärzte sprach sich für ein solches Gremium aus (56,1 Prozent). Und sie stehen damit nicht allein: In unserer parallelen Befragung votierten auch Heilberufler und Apotheker mit großer Mehrheit für ein solches Gremium.

Fast jeder zweite Arzt hält zudem Task Forces auf Bundesebene für wichtig, die sich um Themen wie beispielsweise Entbürokratisierung oder KI-Nutzung kümmern.

43,6 Prozent der Ärzte sprechen sich für spezifische Fachkommissionen mit Vertretern aus dem Gesundheitswesen aus, 40,9 Prozent würden lokale Versorgungsinitiativen priorisieren.

Die weiteren Antwortoptionen wurden von jeweils weniger als einem Drittel der Ärzte genannt.

Welche Ratschläge Ärzte der Ministerin mitgeben würden

Zum Abschluss der Befragung haben wir den Ärzten eine offene Frage gestellt: „Wenn Sie mit der Ministerin beim Essen wären, worüber würden Sie mit ihr sprechen? Und welchen Rat würden Sie ihr geben?“

Mehr als die Hälfte der Ärzte nutzte diese Gelegenheit, um Erfahrungen aus ihrem Alltag zu teilen. Die wichtigsten Probleme und Forderungen haben wir in der folgenden Liste zusammengefasst, gewichtet nach der Häufigkeit der Nennung.

1. Bürokratie & Digitalisierung

  • Erdrückende Bürokratielast 
    „Ich schließe meine Praxis 1 Tag pro Woche nur für Anträge und Gutachten – das ist vergeudete Zeit ohne Einnahmen.“

  • Kritik an der Digitalisierung 
    „Wir haben Zehntausende Euro in digitale Technik investieren müssen – und keinen Cent für moderne medizinische Geräte.“

  • Forderung nach Vereinfachung
    „Weniger überbordende Bürokratie. Habe Medizin studiert und nicht Informatik oder BWL!“

2. Arbeitsbedingungen & Vergütung

  • Finanzielle Lage prekär
    „Ich kämpfe um meine finanzielle Existenz – ich muss Dienste machen, damit ich Löhne zahlen kann.“

  • Forderung nach Entbudgetierung
    „Schluss mit Regressen und Budgets, dies verhindert eine adäquate Versorgung der Patienten.“

  • Honoraranpassung
    „Wie kann es vertretbar sein, dass Ärzte nach GOÄ seit 30 Jahren keinerlei Anpassung an Inflationsrate haben?“

  • Attraktivität der Niederlassung
    „Es gibt keinen Anreiz für junge Ärzte in die eigene Praxis zu gehen – alle wollen nur noch ins MVZ.“

3. Struktur des Gesundheitssystems

  • Zu viele Krankenkassen
    „Wofür brauchen wir über 100 Krankenkassen … drei bis fünf Kassen würden locker ausreichen.“

  • Krankenhäuser & MVZ
    „Warum müssen Krankenhäuser gewinnorientiert arbeiten? Investoren ziehen das Geld aus dem System.“

  • Ambulantisierung & Primärarztmodell
    „Ambulantisierung wird nicht gelingen, wenn die Ambulanzen vorher kaputt gemacht werden.“

4. Nachwuchs & Personal

  • Ärztemangel & Abwanderung
    „…dass der medizinische Nachwuchs nicht ins Ausland abwandert (Schweiz, Österreich, Skandinavien).“

     

  • Medizinstudium reformieren
    „Deutschland sollte fähig sein, seine eigenen Ärzte auszubilden – mehr Studienplätze, weniger NC.“

     

  • MFA & Pflegekräfte
    „Die Anfeindungen gegenüber medizinischem Personal nehmen täglich zu. Das führt zu einer Personalflucht der MFAs aus dem ambulanten Bereich in Bereiche ohne Patientenkontakt.“

5. Gesellschaftliche Herausforderungen

  • Demografie
    „Die Lawine der Überalterung muss gestern angegangen werden – nicht erst in 10 Jahren.“

  • Kostenexplosion
    „Arbeiten Sie daran, das Chaos mit den exorbitanten ineffizienten Kosten zu verringern.“

  • Soziale Gerechtigkeit
    „Im zahnärztlichen Bereich bekommen Bürgergeldempfänger 100 % Zuschuss, Geringverdiener nur 75 %. Das sorgt für Unmut.“

6. Politikstil & Erwartung an die Ministerin

  • Nähe zur Basis
    „Die Politik sollte endlich mit den Menschen sprechen, die wirklich am Patienten arbeiten.“

  • Weniger Kommissionen
    „Keine neuen Arbeitsgruppen – wir brauchen Entscheidungen, nicht endlose Runden.“

  • Parteiübergreifende Gesundheitspolitik
    „Parteiunabhängige Gesundheitspolitik! Nicht im Sog der Krankenkassen.“

  • Kritik an Inaktivität
    „Die Ministerin ist bisher noch gar nicht in Erscheinung getreten.“

7. Patienten & Eigenverantwortung

  • Prävention stärken
    „Gesunde Lebensweise muss gefördert werden – Wissen über Blutzucker, Osteoporose, Cholesterinwerte fehlt völlig.“

  • Moderate Eigenbeteiligung
    „Die Politik muss ehrlich sagen: Nicht jeder bekommt immer alles kostenlos – ein kleiner Beitrag pro Arztbesuch wäre sinnvoll.“

  • Einschränkungen
    „Begrenzung von Leistungen für Flüchtlinge auf Notfallmedizin.“

Prof. Dr. med. Dr. rer. pol. Konrad Obermann, Forschungsleiter der Stiftung Gesundheit

Kommentar

Ministerin Warken, hören Sie auf die Basis!

Als Gesundheitsministerin Nina Warken die Arbeit auf ihrem neuen Posten aufnahm, war allen klar, dass es keine leichte Aufgabe werden würde – insbesondere vor dem Hintergrund der dominierenden Finanzproblematik der gesetzlichen Krankenkassen. Trotzdem haben die niedergelassenen Ärzte große Hoffnungen in sie gesetzt, wie unser Stimmungsbarometer kurz nach dem Regierungswechsel gezeigt hat. Derzeit kehrt allerdings wieder Ernüchterung ein – mangels handfester Schritte in Richtung eines inhaltlich motivierten Politikwechsels.

Doch was genau könnte und sollte Warken tun, um das Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen? Wo sind die größten Baustellen, die den Alltag in der Patientenversorgung erschweren? Das wissen am besten die Ärzte an der Basis – deshalb haben wir sie nach ihren Erwartungen und Wünschen gefragt.

Zwei Themen kristallisieren sich dabei mit großem Abstand heraus: Zum einen eine Budgeterhöhung für den ambulanten Sektor bzw. eine Entbudgetierung: Mehr als 70 Prozent der Ärzte zählen dies zu den derzeit dringlichsten Themen. Das zweite große Thema ist der Mangel an medizinischem und pflegerischem Fachpersonal, den jeder zweite Arzt als immense Herausforderung ansieht. Hier lohnt es sich, intensiv nach sinnvollen und zukunftsfähigen Lösungen zu suchen, um die mit Abstand größten Ursachen für den Frust in der Ärzteschaft lindern.

Überrascht hat uns das Ergebnis der Frage, welche politischen Initiativen Priorität haben sollten: Jeder zweite Arzt sprach sich für die Einrichtung eines unabhängigen Beratungsgremiums aus, das sich aus Vertretern aller Bereiche der direkten Patientenversorgung zusammensetzt und das Bundesgesundheitsministerium dauerhaft berät. Und mit dieser Forderung stehen Ärzte nicht allein: Bei den Heilberuflern und Apothekern, die wir ebenfalls zu diesem Thema befragt haben, fordern sogar rund zwei Drittel ein solches Gremium.

Dieses Ergebnis sendet ein sehr deutliches Signal: Wer das Gesundheitswesen reformieren und zukunftsfähig machen will, muss den Fachleuten an der Basis zuhören. Und diese haben viel zu sagen, wie sich in den Freitexten aus unserer Befragung zeigt: Neben nachvollziehbarer Empörung und Frust findet sich dort eine Fülle an sorgfältigen Beobachtungen, konstruktiven Verbesserungsvorschlägen und gesellschaftlichen Denkanstößen. Ministerin Warken wäre gut beraten, die Kompetenz, Diskussionsbereitschaft und Erfahrung der Niedergelassenen zu nutzen, um den weiteren Weg gemeinsam zu gestalten – das wäre eine wertvolle Bereicherung im gesundheitspolitischen Diskurs.

Methodik

Erhebung: Repräsentative Erhebung mit einem Online-Fragebogen

Erhebungszeitraum: 1.-9. September 2025

Sample: Für jede Berufsgruppe wurde eine repräsentative geschichtete Zufallsstichprobe angeschrieben. Für die aktuelle Befragung erhielten insgesamt 8.000 niedergelassene Hausärzte, Fachärzte und Zahnärzte aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung eine Einladung zur Befragung. Zusätzlich wurden 1.968 Ärzte angeschrieben, die regelmäßig an der Befragung teilnehmen.

Rücklauf: 449 valide Fragebögen (Rücklaufquote 4,5 Prozent). Die Ergebnisse sind repräsentativ mit einem Konfidenzniveau von 95% (Konfidenzintervall < ± 5%).

Bildquelle: Canva