Patientenströme besser steuern

Ärzte würden Gebühren für Facharztbesuche ohne Überweisung sowie Notfallbehandlungen einführen

Überfüllte Wartezimmer, auf Monate ausgebuchte Termine und Aufnahmestopps: Ärzte in der ambulanten Versorgung schlagen schon seit längerer Zeit Alarm und warnen vor einem Praxenkollaps. Doch was lässt sich dagegen tun? Wir haben niedergelassene Haus- und Fachärzte in unserer Ad-hoc-Erhebung „Im Fokus“ gefragt, mit welchen Maßnahmen sich die Patientenströme in der ambulanten Versorgung aus ihrer Sicht besser steuern ließen.

Ärzte stimmen für Kontaktpauschale bei Facharztbesuchen ohne Überweisung

Am meisten Zuspruch hatte die Einführung einer Kontaktpauschale für Patienten, die ohne Überweisung direkt einen Facharzt aufsuchen. Fast zwei Drittel der Ärzte (64,9 Prozent) halten diese Maßnahme für sinnvoll, fast jeder zweite auch für umsetzbar (49,2 Prozent).

54,0 Prozent der Ärzte halten Bonusmodelle für sinnvoll, die Patienten als Anreiz dienen, sich freiwillig von einem Primärarzt bzw. Stammarzt steuern zu lassen. 39,1 Prozent halten dies für umsetzbar, 14,9 Prozent bezweifeln dies.

Auf eine verbindliche Hausarztzentrierte Versorgung würde mehr als die Hälfte der Ärzte setzen (52,8 Prozent), ebenso auf die Einführung einer generellen Zuzahlung pro Arztbesuch (52,7 Prozent). In beiden Fällen hält mehr als ein Drittel diese Maßnahme auch für umsetzbar.

Am anderen Ende der Skala sprachen sich die Ärzte klar dagegen aus, Apotheken als Anlaufstellen zur Entlastung der Hausärzte zu nutzen (nicht sinnvoll: 83,2 Prozent), innovative Anlaufstellen wie Gesundheits-Kioske zu schaffen (nicht sinnvoll: 69,5 Prozent) oder auch die Praxisgebühr in ihrer früheren Form wieder einzuführen (nicht sinnvoll: 60,9 Prozent).

Hausarztzentrierte Versorgung: Nur in jeder zweiten Praxis ohne weiteres umsetzbar

Die Einführung einer verbindlichen Hausarztzentrierten Versorgung würde jeden zweiten Hausarzt vor große Herausforderungen stellen: Nur 50,2 Prozent von ihnen gaben an, dass dies in ihrer Praxis ohne Einschränkungen umsetzbar sei. Knapp ein Viertel der Ärzte sieht dies nur mit erheblichem Mehraufwand als möglich an, für 15,5 Prozent wäre diese Maßnahme gar nicht umsetzbar, da die Praxis ohnehin schon überlastet sei.

Patientensteuerung in der Notfallversorgung: ILS, INZ und Gebühr für Notfallbehandlungen

Um die ebenfalls überlaufenen Notfallpraxen bzw. Notaufnahmen in Krankenhäusern zu entlasten, befürworten Haus- und Fachärzte die geplante Einrichtung von integrierten Leitstellen (ILS) und integrierten Notfallzentren an Krankenhäusern (INZ): Rund drei Viertel halten diese Maßnahmen für sinnvoll (ILS: 77,7 Prozent, INZ: 72,9 Prozent), rund 60 Prozent sehen sie auch als umsetzbar an.

70,5 Prozent halten außerdem eine Gebühr für die Behandlung in Notaufnahmen oder Notfall-Praxen für sinnvoll, rund 60 Prozent auch für umsetzbar.

Wenig Zuspruch findet dagegen die Entwicklung KI-gestützer Anlaufstellen zur Ersteinschätzung: Fast 40 Prozent halten es für nicht sinnvoll, ein Drittel gibt an, dies nicht einschätzen zu können. Nur jeder fünfte Arzt stimmte hier mit "sinnvoll und umsetzbar".

Gast-Kommentar: Auf dem Weg zur „Patient Journey“

Um Patientenströme effizienter zu lenken, gleichzeitig Praxisteams zu entlasten und Wartezeiten für Patienten zu reduzieren, braucht es eine gezielte Patientensteuerung. Und zwar am besten in Form einer "Patient Journey" – also nicht nur punktuell, sondern koordiniert über den gesamten Behandlungsprozess hinweg.

Noch blicken Ärzte dabei skeptisch auf moderne Vorschläge wie den Einsatz von KI-gestützten Anlaufstellen, Voicebots oder Chatbots. Dahinter steht möglicherweise die Sorge um die Abwertung der Kompetenzen. Tatsächlich aber könnten solche Systeme mehr Zeit für persönliche Patientenkontakte schaffen, indem sie Routineaufgaben übernehmen. Jetzt könnte der Moment sein, um einen neuen Blickwinkel einzunehmen.

Die von Ärzten klar befürwortete Kontaktpauschale für Patienten, die ohne Überweisung direkt einen Facharzt aufsuchen, macht zur Unterstützung der Steuerung Sinn. Dasselbe gilt für Bonusmodelle, die Patienten dazu motivieren sollen, sich von einem Primärarzt steuern zu lassen. Eine hausarztzentrierte Versorgung würde sich daraus automatisch ergeben, ohne dass spezielle Programme oder Verträge nötig wären. Das wäre von Vorteil, denn zusätzliche Abrechnungsmodalitäten erzeugen nur unnötigen Mehraufwand.

Stefan Spieren MBA, Hausarzt und Digital Health Pionier aus Wenden

Bei der Einrichtung von integrierten Leitstellen und Notfallzentren ist es vor allem wichtig zu klären, wer diese besetzen soll: Niedergelassene Ärzte können diese Aufgaben nicht zusätzlich zu ihrer normalen Praxistätigkeit übernehmen. Eine Gebühr für Behandlungen wäre zudem auch in Notaufnahmen oder Notfallpraxen eine sinnvolle erste Maßnahme, um ein Umdenken in der Bevölkerung zu fördern – insbesondere für vermeidbare und nicht notwendige Kontakte.

Wichtig ist aber vor allem, überhaupt zu handeln, damit die Situation für alle Beteiligten in absehbarer Zeit endlich wieder erträglich wird.

Methodik & Rahmendaten

Erhebung: Repräsentative Erhebung mit einem Online-Fragebogen

Erhebungszeitraum: 4.–11. Juni 2024

Sample: Für jede Berufsgruppe wurde eine repräsentative geschichtete Zufallsstichprobe angeschrieben. Für die aktuelle Fokus-Frage erhielten insgesamt 6.000 niedergelassene Haus- und Fachärzte aus dem Strukturverzeichnis der Versorgung eine Einladung zur Befragung. Zusätzlich wurden 1.507 Haus- und Fachärzte angeschrieben, die regelmäßig an der Befragung teilnehmen.

Rücklauf: 473 valide Fragebögen (Rücklaufquote 6,3 Prozent). Die Ergebnisse sind repräsentativ mit einem Konfidenzniveau von 95% (Konfidenzintervall < ±5%).

Bildquelle: Portrait Spieren: Britta Krämer; Titelbild: Canva